Montag, 29. Oktober 2007

Abschied, erste Selbststaendigkeitsversuche und ein Raubueberfall

So wie es zur Zeit hier viele versuchen, sind der Bruder meiner Gastmama und dessen Familie nun in die USA ausgewandert. Vorher haben wir natuerlich nocheinmal eine schoene Abschiedsfeier mit der ganzen Familie organisiert. Dazu wurde typisch venezolanisches Essen zubereitet: Arepas (kleine flache Maismehlbroetchen), Reis mit schwarzen Bohnen, zerrupftem Fleisch und frittierte Platanos (Bratbanane), Milchreis und eine Art Karamellflan. Als Ueberaschung des Abends war ein Musiker eingeladen, der wunderschoen Quatro (die venezolanische viersaitige Gitarre) gespielt hat. Also alles inallem eine sehr gemuetliche, familiaere Feier.

Die Unzufriedeheit der Menschen der mittleren Gesellschaftsschicht ueber die politischen Machenschaften im Lande ist gross. So haben letzte Woche, trotz der schweren Regenguesse, die hier zur Zeit herunterkommen, tausende Studenten gegen die Reform der Verfassung demonstriert. Vergangenes Wochendende stand mal wieder eine AFS-Aktivitaet auf dem Plan: Gimkana, was man vielleicht mit Nonsensolympiade uebersetzen koennte. Von Sackhuepfen bis Keks essend einen Luftballon aufblasen war jeder Bloedsinn dabei und wir haben uns koestlich amuesiert.

*ich dreh durch... =)

Natuerlich sind wir wieder gemeinsam essen gegangen, zur Erhaltung der Figur. Nebenbei haben wir uns ausgemacht, abends alle in eine Disco zu gehen, worauf ich mich tierisch gefreut habe. Aber leider sind von all denen nur Claudia und ich uebrig geblieben und so ist unsere Rumba ins Wasser gefallen. Dafuer sind wir als Plan B kurz zu einer anderen (Halloween)Fiesta gefahren, die allerdings nicht der Brueller war. Um meine Suche nach einer Moeglichkeit, Musik zu machen, fortzusetzen, bin ich den Tag nach der Schule auf eigene Faust zum Kulturzentrum gelaufen und habe dort nachgefragt, ob es neben den Jugendorchestern, noch andere Angebote gibt. Fehlanzeige, ich musste erfolglos wieder umkehren. Aber ich war insofern ein bisschen stolz auf mich, dass ich das allein zu Fuss und per Metro meistern konnte. Es geht also, sich selbststaendig in der chaotischen, lauten Stadt zu bewegen. Das habe ich dann auch gleich am naechsten Tag nach der Schule gemacht. Und auch heute, und da habe ich den Unterschied zwischen Bergen und Caracas zu spueren bekommen: Ein Grueppchen von scheinbar harmlosen Schuelern hat Sara und mir justamente vor unserem Haus die Taschen gestohlen und sich mit allem auf und davon gemacht. Zum Glueck hatte ich bis auf etwas Geld nichts Wertvolles dabei. Trotzdem hoffe ich, dass das nicht oefter passiert.

Montag, 22. Oktober 2007

Zwei Todesfaelle, Pech mit dem Orchester und wieder einmal AFS

So liebe Daheimgebliebenen, nun mal wieder eine Meldung von mir. Vergangenen Sonntag sind wir in den Stadtteil El Hatillo gefahren, der ein bisschen an ein kleines Kuenstlerdoerfchen erinnert, mit ganz vielen knallbunten Haeuschen. Wie an jeder Ecke in Caracas gibt es auch dort eine Shoppingmall, wo wir nach unserem Spaziergang in einem Schweizer Restaurant lecker Fondue speisen waren. (Einen lieben Gruss an Caro an dieser Stelle.) Man muss hier auf (fast) nichts verzichten.

Am Montag ist ueberraschend der Mann unserer geliebten Komité-Koordinatorin verstorben und meine Gastmama war die Erste die es erfahren hat. Am Mittwoch schon die naechste tragische Nachricht: ein Maedchen aus der Parallelklasse ist, nachdem sie aufgrund einer Gehirnerkrankung und vermutlich Drogenkonsum drei Monate im Koma lag, gestorben. Die Szenerie auf dem Gang in der Schule war furchtbar, der ganze Jahrgang hat geweint. Den restlichen Tag und am Donnerstag hatten wir keinen Unterricht deswegen und auch am Freitag war nur die Haelfte da und die Stimmung aeusserst gedrueckt.

Vergangenen Freitag habe ich mich bei einem Jugendorchester vorgestellt, auf eine Probe sozusagen. Man hat mir eine Klarinette ausgeliehen, auf der ich mich ein bisschen einspielen sollte, bis der Direktor kommt. Dabei habe ich erschrocken festgestellt, dass hier ein anderes Griffsystem gebraeuchlich ist, das ich nicht beherrsche. Nun gut, ich sollte mich dran gewoehnen. Aber bei dem anschliessenden Gespraech mit dem Dirigenten hat sich herausgestellt, dass grundsaetzlich in der Musikschule geuebt wird - und zwar fuenf Mal pro Woche. Das ist Teil des venezolanischen Kinder- und Jugendorchester-Systems, es kostet absolut nichts, dafuer wird aber volle Hingabe gefordert. Ich habe mir also, etwas enttaeuscht, eingestanden, dass das nicht das richtige fuer mich ist, und werde mich also weiter auf die Suche nach einer Moeglichkeit begeben, Musik zu machen. Schliesslich moechte ich ja noch viele andere Dinge mitmachen.

Am Wochenende war dann die erste AFS-Versammlung fuer die, die naechstes Jahr ins Ausland gehen werden, und da von denen allein schon drei Freunde aus meiner Schule sind, bin ich da mit hingefahren. Auch vorher schon habe sie als "Europaexperte" ein bisschen beraten, da sie, wie ich von Lateinamerika, eigentlich keine Ahnung hatten, worin sich die einzelnen Laender Europas so unterscheiden. Bei der Uebung ist mir klar geworden, wie vielfaeltig der heimatliche Kontinent doch ist. Bei dem Meeting wurde dann ausfuehrlichst erklaert, wie, wann, wo,... all die Formulare und Briefe einzureichen sind. Das Verfahren hier ist wirklich exakt das selbe, wie in Deutschland. Ausser, dass wir wieder viel gegessen haben, haben wir vier Tauschis noch ein bisschen von unseren Erfahrungen und Eindruecken, die wir bis jetzt gesammelt haben, berichtet. So schnell geht das, dass man vom faszinierten Zuhoerer selbst zum stolzen Berichterstatter wird.

Und nun wieder etwas Kurioses zum Abschluss: Auf der Strasse rote Kleidung zu tragen, gilt gemeinhin als Bekenntnis fuer Chavez, ist also etwas kritisch, und so habe ich meine roten Shirts zu den Haus-Sachen verbannt. Was ansonsten modetechnisch die Schuluniform nicht zulaesst, gleichen die meisten mit tonnenweise Schmuck und teilweise Schminke aus. Dafuer scheinen sich die Leute in der Schule, dafuer dass es die Abschlussklasse ist, keine allzugrossen Kopf ueber den Unterricht zu machen. Die Disziplin ist, im Vergleich zu der Ruhe im Unterricht in Deutschland, eine einzige Katastrophe.

Das ist Strassenkunst in dem Stadteil Bella Artes. Das Bild ist schon vor einer Weile entstanden, aber ich fand das so schoen, ein ganzer Boulevard voller kleiner Staende mit Schmuck und anderen handwerklichen Kleinigkeiten.

Samstag, 13. Oktober 2007

Black Eyed Peas - Konzert & La Avila

Wie schon voller Vorfreude angekuendigt, bin ich am Dienstag mit einer Freundin aus meiner Klasse zum Black Eyed Peas - Konzert gefahren. Wobei "gefahren" geschmeichelt ist, dank dem schrecklichen Verkehr und der gigantischen Schlange am Einlass haben wir die venezolanische Vorband verpasst. Aber dafuer war das eigentliche Konzert einfach spitze! Die BEP haben richtig lange gespielt, super Stimmung gemacht, wir haben gut gesehen und alles lief sehr geordnet ab, man hat gar nicht wirklich gemerkt, dass man in Caracas ist. Also insgesamt echt genial. Auch die Heimfahrt war recht lustig. Da wir zu siebent im Auto waren haben Erika und ich bequem im Kofferraum platzgenommen. Das ist hier zwar nicht weniger gefaehrlich als in Deutschland, scheint aber kein Problem zu sein.

Am naechsten Tag war ich zugegebenermassen etwas muede, aber in der Schule haben wir eine Art Kuchenbasar veranstaltet (Kuchen heisst hier uebrigens fast immer Ruehrkuchen oder Marquesa), um Geld fuer die Abschlussfeier einzusammeln, das hat die Stimmung ein wenig gehoben. Und weil ja immer alles auf einmal kommt, sind wir dann abend noch in Familie zu einer Geburtstagsfeier gefahren. Dort haben mir die Maedels wieder einmal bestaetigt, dass ich schon "full" spanisch spreche, was mich natuerlich "stolz wie Oscar" macht. Das heisst natuerlich nicht, dass es nicht noch einiges zu lernen gibt und deshalb hoffe ich auch auf den Spanischkurs, den AFS jetzt doch fuer uns Tauschis veranstalten will. Am Freitag war Feiertag (día de la resistencia de las indígenas). Da bin ich mit Num und ihrer Mutti in den Nationalpark "Avila", im Norden von Caracas, nicht weit weg von zuhause, zum Wandern gefahren. Ein herrlicher Park, er bedeckt sozusagen das Gebirge zwischen Caracas und dem Meer, es gibt Wasserfaelle, herrliche Ausblicke ueber die Stadt, und vor allem sehr viel gruen. Leider hat Num schon zeitig schlapp gemacht, sodass wir also recht schnell wieder umgekehrt sind. Aber das war mit Sicherheit nicht das letzte Mal, dass wir dort wandern gehen.

Spaeter hat uns die Mutti die Augenklinik ihres Vaters gezeigt, wo auch ihre Schwester arbeitet. Sie stellt als eine von zweien in ganz Venezuela Glasaugen her. Ich war fasziniert, das ist eine richtig interessante Sache, und sie haben uns wirklich alles gezeigt. Wo ich gerade beim Thema Gesundheit bin: ich bin das erste Mal etwas angeschlagen, und da bin ich nicht die einzige in der Klasse, wir frieren dank dieser echt leistungsstarken Klimaanlagen alle um die Wette. Das ist schon kurios, dass man in einem Land mit fast dreissig Grad Jahrestemperatur im Pullover in die Schule geht. Aber was ist schon normal?

Sonntag, 7. Oktober 2007

Der erste Fernsehauftritt und ein Metro-Trip mit AFS

Ich kann es kaum glauben: Ich bin jetzt schon genau einen Monat hier! Langsam zieht Routine ein. In der Schule habe ich mittlerweile richtig gute Freunde gefunden und ich versuche auch, dem Unterricht einigermassen zu folgen. In Englisch natuerlich sowieso (da hab ich das erste Lob geerntet), wenn es etwas abzuschreiben gibt, pinsel ich fleissig mit und in Mathe habe ich schonmal die anderen in Staunen versetzt. In den Stunden, in denen ich nicht viel verstehe, weil der Unterricht nur ein einziger langatmiger Vortrag ist, suche ich mir irgendwelche Woerter aus meinem Woerterbuch heraus und versuche, sie mir einzupraegen. Leider funktioniert nach anfaenglichen Startschwierigkeiten jetzt doch die Klimaanlage im Klassenraum und so ist es manchmal ziemlich kalt. (Wo ich gerade dabei bin, mal eine Temperaturansage: meinThermometer im Zimmer zeigt 27º an. Draussen scheint die Sonne und ich habe gerade im Planschbasin gebadet.) Aber hier passiert natuerlich mehr, als nur der Alltagstrott: Am Freitag war mein erster Auftritt im internationalen Fernsehen! Der von Chavez (unter grossen Protesten) schon fast geschlossene Sender RCTV hat eine Art Talkshow ueber Austauschprogramme aufgezeichnet - und da waren wir AFSer natuerlich dabei. Das war erstens sehr interessant, wie so eine Show funktioniert, und zweitens auch recht lustig. Nachdem wir uns schon alle eingesessen hatten, war erstmal Pullerpause angesagt, nach dem zweiten Einsitzen gabs ein Kaeffchen und dann gings irgendwann los. Wir Tauschis hatten ausser unserem Namen und Herkunft gar nichts weiter zu sagen (obwohl ich mir schon ein paar Worte zurechtgelegt hatte) und so mussten wir nur klatschen und immer schoen laecheln.

Am Samstag stand schon die naechste Aktivitaet mit AFS auf dem Plan: Wir haben uns gleich frueh getroffen, um eine Stadttour zu unternehmen - teils zu Fuss, teils per Metro - mit dem Ziel, dass wir lernen, selbststaendig mit der Metro in Caracas mobil zu sein. Das war aeusserst anstrengend, denn die Sonne bruetet und man muss immer sehr aufmerksam sein in der Stadt. Zum Schluss haben wir dann sogar noch eine ausgiebige Fuehrung im Theater mitgemacht. Die konnte aber keiner von uns mehr so richtig geniessen... Und nun schonmal eine Vorschau fuer naechste Woche: Ich gehe zum Black Eyed Peas - Konzert in Caracas!!!